Zivilcourage mit Sport

Ich suche seit Tagen verzweifelt ein Wort, das meinen Zustand über den Dokumentarfilm von Christoph Röhl in 3sat „Und wir sind nicht die Einzigen“ beschreibt.

Nach langem Grübeln habe ich mich auf das einfache Wort „Betroffenheit“ festgelegt. Jetzt könnte man darüber diskutieren, was dieser Bericht und meine Betroffenheit über das Thema „Missbrauch in der Odenwaldschule“ in unserem Blog über Sport Mental Training & Coaching zu suchen hat …

Wenig und doch viel! Wie alles im Leben ist es eine Frage der Betrachtung … Zum einen gibt es auch Missbrauchs-Vorfälle in Vereinen zwischen Trainer und Kindern, zum anderen die Thematik des Wegschauen, Verdrängens und nicht „wahr haben wollen“.

Viele Eltern geben ihr Kinder im guten Glauben im Sportverein „ab“ und machen sich wenig Gedanken darüber, ob sie dort auch gut aufgehoben sind, denn in den meisten Fällen ist es auch so! Doch ist das wirklich sicher? Ich würde keinen meiner Trainer-Kollegen dies zutrauen, aber die „Hand ins Feuer“ würde ich dafür auch nicht legen …

Hinzu kommt noch, dass ein Verdacht sehr schnell ausgesprochen ist und man damit Lebensbiografien in sehr kurzer Zeit zerstören kann. Ich würde mich daher hüten vorschnell „Gerüchte“ in die Welt zu setzen. Auf der anderen Seite, wo beginnt Missbrauch und wann muss ich als Person eingreifen?

Was mich an dem oben genannten Dokumentarfilm so betroffen gemacht hat, ist zum einen die Sprachlosigkeit der Opfer, doch vor allem das Schweigen der Menschen im Umfeld, die von dem Missbrauch der Kinder wussten. Ich frage mich seitdem „wie kann das sein“ und was würde ich in dieser Situation tun?

Ebenfalls wegesehen oder eingreifen? Wieso haben in der Odenwaldschule so viele intelligente Menschen dies zugelassen? Was für ein Umfeld, für ein Klima muss vorhanden sein, damit wir solche Entwicklungen erkennen und vor allem rechtzeitig STOPP sagen. Sicherlich könnte man nun diese Situation als Ausnahmesituation definieren, doch damit schaffe ich wieder nur Verdrängung anstatt Ursachenforschung und Problembewältigung.

Ja, Missbrauch ist ein schwieriges und heikles Thema! Doch wo fängt Zivilcourage an oder beziehen wir Stellung? Wo übernehmen wir Verantwortung und schauen hin und nicht weg, wenn jemand über sogenannte „Werte“ verstößt?!

  • Gemeinsam Geräte auf dem Sportplatz / Halle aufräumen
  • Die Sportanlagen sauber halten
  • Den Müll auch wirklich in den Müllbehälter werfen
  • Anstatt Schiedsrichter und Gegner zu beschimpfen die eigene Mannschaft anfeuern
  • Die Kabinen sauber und aufgeräumt verlassen
  • Bei Differenzen Lösungen zu suchen anstatt auf seinen Standpunkt zu beharren
  • Und, und, und

Es wäre in vieler Hinsicht hilfreich einmal sein eigenes Auftreten, das möglicherweise Vorbildcharakter auch für andere hat, zu hinterfragen. Wir haben mittlerweile einige intensive Diskussionen im Freundeskreis hierüber geführt und mussten leider alle feststellen, dass wir sicherlich Zivilcourage zeigen würden, aber …

Doch dieses ABER ist immer verknüpft mit dem Umfeld der jeweiligen Situation. Ist man alleine unterwegs und findet man keine möglichen Verbündeten, so ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass man „wegschaut“. Dagegen ist man mit einer „verlässlichen“ Gruppe unterwegs, steigt die Wahrscheinlichkeit der „Zivilcourage“.

Verrückt oder? Doch völlig verständlich! Darum Augen auf und wachsam bleiben. Lieber einmal mehr nachgefragt als geschwiegen … Für mehr (Selbst-)Bewusstsein und (Selbst-)Verantwortung können wir – gerade im Sport – die Basis im Kinder- und Jugendbereich legen.

Jetzt ist die Zeit dafür …
Let´s do it!

 

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Und wir sind nicht die Einzigen
Dokumentarfilm von Christoph Röhl, Deutschland 2011

Länge: 86 Minuten
Erstausstrahlung
Die Odenwaldschule galt jahrelang als eine der besten Internatsschulen Deutschlands und der Reformpädagogik. Umso erschütterter reagierte die Öffentlichkeit auf die Berichte über massiven sexuellen Missbrauch an der „OSO“, die Anfang 2010 aufkamen. Bis heute haben sich knapp 130 Opfer persönlich gemeldet, 18 Täter sind namentlich bekannt. Wie konnte so etwas Ungeheuerliches über Jahrzehnte hinweg geduldet und vertuscht werden? Besonders wenn man bedenkt, dass bereits 1999 zwei ehemalige Schüler mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gingen.
Regisseur Christoph Röhl, selbst ehemaliger English Helper an der Odenwaldschule, war es aufgrund seiner guten Kontakte möglich, im Umfeld der 100-Jahr-Feier der OSO im Juli 2010 Gespräche mit zahlreichen Altschülern, Lehrern und Personen aus dem Umfeld der Schule zu führen. Mit seinem Film, der sich ganz auf die Aussagen der Protagonisten konzentriert, versucht er nicht nur den Ursachen des Missbrauchs auf den Grund zu gehen, sondern er beschäftigt sich auch mit dem „Schweigen“ auf allen Seiten. Die Gespräche machen die schockierende Dimension und Systematik des Missbrauchs an der OSO deutlich. Die Berichte und Reflexionen der Betroffenen stehen dabei auch stellvertretend für alle anderen Orte, an denen Missbrauch in unserer Gesellschaft geschieht. „Meine Recherchen haben mir gezeigt, dass viele Leute, die den Missbrauch geahnt haben, trotzdem nicht gehandelt haben, weil sie nicht emotional begriffen haben, worum es eigentlich geht. Genau das wollte ich mit diesem Film ändern“, so Christoph Röhl. Röhl wurde in Brighton, England geboren. Nach seinem Studium an der University of Manchester, studierte der Deutsch-Brite in den 1990er Jahren Regie- und Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Neben seinen englischsprachigen fiktionalen Regiearbeiten für die BBC realisierte Röhl mehrere, zum Teil preisgekrönte Kurzfilme. „Und wir sind nicht die Einzigen“ ist sein erster Dokumentarfilm.